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AutorenbildAndrea Jumpertz

Warum sollte rassetypisches Verhalten nicht unterbunden werden

Aktualisiert: 8. Nov.


Immer wieder heißt es: man solle Jagdverhalten erst gar nicht aufkommen lassen. Oder wenn der Hund einmal erfolgreich gejagt hat, dann hört er nie wieder auf damit. Zusätzlich darf ein Hund nie vom Boden fressen. Denn dann nimmt er immer wieder und mehr Dinge vom Boden auf. Wer so handelt unterbindet Jagdverhalten und wichtige instinktive Handlungen von Hunden, die der Selbstwirksamkeit und Selbstregulation gelten. Das macht alles noch schlimmer. Grundsätzlich geht es darum, dass man Hunde ihre genetisch festgelegten Verhaltensweisen kontrolliert ausleben lassen sollte, damit sie nicht in unerwünschtes Verhalten gelangen sonst fängt der Teufelskreis erst an. Und es heißt, hier kommt man nur noch aversiv weiter. Das ist der absolut falsche Ansatz.

Zunächst geht es also darum zu wissen, was soll ein Hund ausleben dürfen je nach Rasse.






Woher kommen rassetypische Verhaltensweisen?

Instinktives Jagdverhalten ist tief in fast allen Hunderassen verankert. Man könnte auch sagen: die genetisch bedingte Summe aller Jagdsequenzen macht einen Hund und sein Verhalten aus.


Jede Hunderasse hat ihre eigenen spezifischen Instinkte, die auf ihre ursprüngliche Funktion und ihre Zuchtgeschichte zurückzuführen sind. Viele dieser Instinkte lassen sich direkt auf das Jagdverhalten zurückführen. Ob es sich um das Stöbern, Verfolgen, Apportieren, Hüten oder Verteidigen handelt – all diese rassetypischen Eigenschaften sind letztlich verschiedene Ausprägungen des natürlichen Jagdverhaltens in einzelnen Sequenzen.


Die einzelnen Jagdsequenzen bei Hunden

Die Jagdsequenz eines Hundes folgt in der Regel einer festen Abfolge von Verhaltensphasen, die tief in seinen Instinkten verwurzelt sind. Diese Phasen sind meist automatisch und verlaufen in einem bestimmten Muster:

  1. Orientierung: Der Hund bemerkt ein potenzielles Ziel und richtet seine Aufmerksamkeit darauf. Er nutzt seine Sinne (Sehen, Riechen, Hören), um das Ziel zu erkennen.

  2. Fixierung: Sobald das Ziel identifiziert ist, fokussiert der Hund es intensiv und beginnt oft, sich vorsichtig anzuschleichen, um nicht entdeckt zu werden.

  3. Hetzen: Wenn das Ziel flieht, setzt der Hund die Verfolgung in hoher Geschwindigkeit fort. Diese Phase ist für viele Hunde besonders aufregend und intensiv.

  4. Packen und Greifen: Der Hund versucht, die Beute mit seinem Maul zu fassen, oft an der Kehle oder an empfindlichen Stellen.

  5. Töten (in natürlichen Jagdsituationen): In freier Wildbahn endet die Jagd oft mit einem Tötungsbiss, der der Beute schnell den Garaus macht. Bei Haushunden tritt dieser Schritt selten auf, da sie in der Regel keine Beute töten.

  6. Zerlegen und Fressen: In der Natur würde nach dem Töten das Zerlegen der Beute erfolgen. Bei Haushunden ist dieser Schritt meist nicht relevant, da das Fressen nicht im Vordergrund steht.


Diese jagdverhaltensbezogenen Sequenzen sind Teil des natürlichen Verhaltens der Hunde und spiegeln sich in den verschiedenen Aufgaben wider, für die die Rassen ursprünglich gezüchtet wurden. Nicht alle Hunde zeigen jede Phase der Jagdsequenz.


Welche Rassen zeigen welche Jagdsequenzen intensiver

Das Jagdverhalten bei Hunden umfasst eine Reihe von Instinkten und Verhaltensmustern, die auf die Jagd nach Beute ausgerichtet sind, und viele dieser Verhaltensweisen sind tief in den Genen der Hunde verwurzelt. Sie manifestieren sich unterschiedlich, je nach den Aufgaben, für die eine Rasse gezüchtet wurde. Die verschiedenen Jagdsequenzen (wie Fixieren, Anschleichen, Verfolgen, Packen oder Töten) sind grundlegende Verhaltensmuster, die bei vielen Rassen vorhanden sind.

Beispiele für rassetypische Verhaltensweisen:

  1. Jagdhunde (z.B. Pointer, Retriever): Diese Hunde zeigen ausgeprägte Jagdsequenzen, wie das Fixieren von Beute, das Stöbern nach Nahrung oder das Apportieren von Beutetieren. Sie wurden speziell für die Jagd gezüchtet, und ihre Instinkte spiegeln diese ursprüngliche Aufgabe wider.

  2. Windhunde (z.B. Greyhound, Whippet): Sie sind auf die Verfolgung von schnellen Tieren spezialisiert und zeigen eine stark ausgeprägte Jagdsequenz mit schnellem Hetzen und Fangen von Beute.

  3. Hütehunde (z.B. Border Collie, Australian Shepherd): Diese Hunde zeigen Instinkte, die ursprünglich mit der Jagd auf Beute und dem Hütetrieb zusammenhängen. Sie fixieren, schleichen (Border) und hetzen (Aussie) die Tiere in eine bestimmte Richtung, was auf ein tief verwurzeltes Jagdverhalten hinweist.

  4. Terrier (z.B. Jack Russell Terrier): Diese Hunde sind für die Verfolgung und Jagd von kleinen Tieren wie Ratten oder Kaninchen gezüchtet, und ihre Instinkte führen zu aggressiven Jagdsequenzen, die mit dem Graben und Packen von Beute verbunden sind.

  5. Schutzhunde (z.B. Dobermann, Rottweiler): Obwohl sie ursprünglich nicht für die Jagd gezüchtet wurden, zeigen Schutzhunde eine Form des Fixierens und des Bedrohens, die Ähnlichkeiten mit frühen Jagdsequenzen aufweisen. Ihre Aufgabe besteht mehr im Schutz, aber viele ihrer Instinkte stammen von den gleichen genetischen Grundlagen wie Jagdverhalten.

  6. Hunde ohne ausgeprägtes Jagdverhalten (z.B. Mops, Bulldogge): Diese Hunde zeigen weniger intensive oder ausgeprägte Jagdsequenzen, jedoch können sie spielerische Elemente des Jagdverhaltens an den Tag legen, wie das Apportieren oder das Verfolgen von Bällen oder Spielzeugen. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um echte Jagdinstinkte, sondern eher um eine Form der Entfaltung von Energie und Spieltrieb.


Nicht ausgelebtes Jagdverhalten führt zu Stress

Das Verhalten vieler Hunderassen ist also in einem gewissen Maße auf genetisch verankerte Jagdinstinkte zurückzuführen. Bei der Zucht und Selektion von Hunderassen wurden diese Verhaltensweisen weiter verstärkt oder in bestimmte Richtungen kanalisiert, um die jeweiligen Aufgaben – sei es im Jagdgebrauch, als Hütehunde, als Suchhunde oder als Begleiter – zu erfüllen.


Das Nicht-Ausleben genetisch bedingter Verhaltensweisen kann zu einer Vielzahl von physischen, psychischen und sozialen Problemen führen. Hunde brauchen nicht nur körperliche Bewegung, sondern auch die Möglichkeit, ihre natürlichen Instinkte zu befriedigen. Durch kontrollierte und gezielte Aktivitäten, die die Instinkte des Hundes ansprechen – wie Suchspiele, Apportieren oder Jagdspiel – kann man das Wohlbefinden des Hundes fördern und problematischem Verhalten vorbeugen. Es ist entscheidend, den natürlichen Trieb eines Hundes zu erkennen, um ein ausgewogenes und zufriedenes Leben zu gewährleisten.


Stress bei unausgelasteten Hunden führt dann wieder zu instinktivem genetisch fixierten Verhalten Jagdverhalten

Zusätzlich wird ein nicht ausgelasteter Hund immer mehr in ein Jagdverhalten fallen. Wenn Hunde gestresst oder in einer angespannten Situation sind, neigen sie dazu, ihr Jagdverhalten auszuleben.


Jagdverhalten unter Stress ist eng mit zwei wichtigen psychologischen Mechanismen verbunden: Selbstwirksamkeit und Dopaminausschüttung. In stressigen Situationen gibt das Ausleben von Jagdverhalten Hunden ein Gefühl der Kontrolle und Selbstwirksamkeit.


Gleichzeitig führt das Jagdverhalten zu einer Dopaminausschüttung im Gehirn, die das Belohnungssystem aktiviert und ein positives Gefühl erzeugt. Dopamin sorgt nicht nur für die Motivation, das Verhalten fortzusetzen, sondern hat auch eine beruhigende Wirkung und hilft dem Hund, Stress abzubauen. Die Kombination aus Selbstwirksamkeit und Dopaminausschüttung macht das Jagdverhalten zu einer effektiven Strategie zur Stressbewältigung. Somit hilft sich der Hund in stressigen Situationen mit Sequenzen aus dem Jagdverhalten. Daher ist hier immer nach der Ursache für den Stress zu suchen und nicht das genetisch bedingte Verhalten, welches der Selbstregulation dient zu unterbinden.


Suchen von Fressbaren in Stresssituationen als Jagdverhalten

Auch das Suchen von Futter am Boden bei Hunden kann als eine Form des Stöberns interpretiert werden, das eng mit ihrem Jagdverhalten verbunden ist. Stöbern ist ein instinktiver Teil des Jagdverhaltens, bei dem Hunde mit ihrer Nase nach Beute suchen. Besonders bei Jagdhunden oder Spürhunden ist dieses Verhalten stark ausgeprägt. Auch wenn Hunde nicht mehr aktiv jagen, bleibt dieser Instinkt erhalten.

Das Stöbern nach Futter aktiviert denselben Instinkt wie die Jagd, da der Hund intensiv mit seiner Nase nach Nahrung sucht. Dies stellt eine abgeschwächte Form des Jagdverhaltens dar und hilft dem Hund, seine natürlichen Instinkte auszuleben. Es fördert die mentale Stimulation und trägt dazu bei, dass Hunde weniger gestresst sind und unerwünschtes Verhalten wie das Jagen von Tieren oder Zerstören von Gegenständen vermeiden. Daher ist auch das Stöbern extrem selbstbefriedigend und beruhigend und sollte kontrolliert durchgeführt werden.

Zeigt ein Hund dagegen dauerndes stöbern, liegt das nicht an der belohnenden Form des Stöberns, sondern zeigt eine Art der Selbstbefriedigung bei zu hohem Stress. Auch hier muss man wieder schauen, was ist die Ursache für den Stress des Hundes.


Das Suchen nach Futter am Boden stellt auch eine Form der mentalen Auslastung dar. Hunde, die regelmäßig die Möglichkeit haben, ihre Jagd- und Stöberinstinkte auszuüben, sind oft weniger gestresst und weniger geneigt, unerwünschtes Verhalten zu zeigen, wie z. B. das Jagen von Tieren oder das Zerstören von Gegenständen. Es ist eine gesunde Art und Weise, den natürlichen Drang des Hundes zu befriedigen und gleichzeitig sein Gehirn und seinen Körper zu beschäftigen.


Warum ist kontrolliertes jagen so sinnvoll


Darum sollte man seinen Hund kontrolliert sein rassetypisches Verhalten aus den einzelnen Jagdsequenzen ausleben lassen:

Jagdverhalten bei Hunden sollte nicht einfach unterbunden, sondern gezielt in kontrollierte Bahnen gelenkt werden. Hier sind die wichtigsten Gründe dafür:

  1. Befriedigung natürlicher Instinkte: Jagdverhalten mit seinen verschiedenen rassetypischen Sequenzen ist tief im Erbgut vieler Hunde verankert. Wird dieses Verhalten unterdrückt, kann es zu Frustration und unerwünschtem Verhalten wie Zerstörung oder übermäßigem Bellen führen.

  2. Stressabbau und Selbstwirksamkeit: Jagdverhalten hilft Hunden, Stress abzubauen und ein Gefühl der Kontrolle über ihre Umgebung zu erlangen. Wenn sie aktiv handeln, anstatt passiv zu leiden, wird ihre emotionale Belastung reduziert.

  3. Mentale und körperliche Auslastung: Jagdverhalten fordert sowohl die Sinne als auch die körperliche Energie des Hundes. In sicheren und kontrollierten Umgebungen, wie bei Such- und Verfolgungsspielen, trägt dies zur Auslastung und zum Wohlbefinden des Hundes bei.

  4. Vermeidung unerwünschten Verhaltens: Wird der rassetypische Trieb unterdrückt, kann der Hund seinen Drang auf unkontrollierte Weise ausleben, etwa durch das Jagen von Tieren oder Fahrzeugen, was gefährlich sein kann. In kontrollierten Situationen lernt der Hund, seinen Instinkt zu steuern.

  5. Stärkung der Bindung zum Halter: Kontrollierte Jagdspiele fördern die Zusammenarbeit und das Vertrauen zwischen Hund und Halter. Der Hund lernt Kommandos und entwickelt eine engere Bindung zum Menschen.

  6. Förderung der Impulskontrolle: Jagdverhalten in kontrollierten Situationen hilft dem Hund, seine Impulse zu kontrollieren und auf Kommandos zu reagieren, was seine Erziehung und Gehorsamkeit verbessert.


Statt Jagdverhalten einfach zu unterbinden, sollte es in sichere, kontrollierte Aktivitäten gelenkt werden. Dies hilft dem Hund, seine Instinkte auf gesunde Weise auszuleben, stärkt seine mentale und körperliche Auslastung und fördert eine positive Bindung zum Halter, während unerwünschtem Verhalten vorgebeugt wird.


Video: Border Collie mit typischem fixieren und anschleichen von Bällen als passende Jagdersatzbeschäftigung:



Kontrolliertes Jagdverhalten bzw. Ersatz für typisches Rasseverhalten ist eine ausgezeichnete Möglichkeit, Hunden zu helfen, ihre natürlichen Instinkte auf sichere und gesunde Weise auszuleben. Es fördert das Wohlbefinden, hilft bei der Stressbewältigung und verbessert die Bindung zwischen Hund und Halter. Durch die Integration von kontrollierten Jagdspielen in den Alltag können Hunde ihre Bedürfnisse nach Bewegung, mentaler Stimulation und Selbstwirksamkeit auf erfüllende Weise ausleben.


Ersatzverhalten für jagdtypische Instinkte sollte den Hund sowohl körperlich als auch geistig herausfordern, um Frustration zu vermeiden und das Wohlbefinden des Hundes zu fördern. Es ist wichtig, dass der Halter den Hund in seinen Bedürfnissen ernst nimmt und ihm kontrollierte und gesunde Ausdrucksmöglichkeiten für seine Instinkte bietet. Solche Aktivitäten verbessern das Vertrauen zwischen Hund und Halter, fördern den Gehorsam und verhindern, dass der Hund seine Energie in problematische Verhaltensweisen umleitet.


Dieses Prinzip findet ihr in allen Kursen wie Alltagshelden, Fun Agility und Schnüffelhelden mit Andrea Jumpertz.




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