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Vom Kontrollieren zum Verstehen: Ein neuer Blick auf Hundeverhalten

Die Vorstellung, Hunde seien dominant oder wollten die Führung übernehmen, ist tief in unserer Hundewelt verankert. Aussagen wie „Der testet dich“, „Der will kontrollieren“ oder „Du musst klare Grenzen setzen“ begegnen vielen Halter:innen noch immer täglich. Obwohl die Dominanztheorie wissenschaftlich als überholt gilt, verschwindet sie nicht. Sie verändert nur ihr Gesicht. Warum ist das so?


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Woher kommt die Dominanztheorie?

Die Dominanztheorie stammt aus frühen Wolfsstudien des 20. Jahrhunderts. Beobachtet wurden Wölfe in Gefangenschaft, die unter unnatürlichen Bedingungen zusammenlebten. Konflikte waren häufig, Ausweichmöglichkeiten gering. Diese Spannungen wurden als Beweis für feste Rangordnungen mit einem „Alpha-Tier“ gedeutet.

Spätere Studien an freilebenden Wölfen zeigten jedoch ein völlig anderes Bild: Wolfsrudel bestehen aus Familien, nicht aus Machtstrukturen. Hunde wiederum sind keine Wölfe – und sie organisieren ihr Sozialleben nicht über starre Hierarchien. Dennoch wurde dieses Modell lange auf Hunde übertragen und prägt unser Denken bis heute.


Dominanz ist kein Charakterzug

Ein zentraler Irrtum der Dominanztheorie ist die Annahme, ein Hund könne „dominant sein“. Dominanz ist keine feste Eigenschaft. Wenn sie im Verhalten überhaupt sichtbar wird, dann situativ und kontextabhängig. Sie dient der Konfliktvermeidung, nicht dem Machterhalt.

Hunde zeigen Verhalten, um Situationen zu klären, Stress zu regulieren oder Abstand herzustellen. Sie wollen nicht „gewinnen“, sondern sich sicher fühlen.


Raumverwaltung: Macht oder Sicherheit?

Ein häufiges Beispiel ist die sogenannte Raumverwaltung. Ein Hund liegt im Flur oder im Türrahmen und steht nicht auf, wenn Menschen vorbeigehen. Schnell heißt es: „Der blockiert den Weg – Dominanz.“

In der Realität kann der Hund dort liegen, weil:

  • der Boden kühl oder bequem ist

  • er Übersicht hat

  • dieser Ort Sicherheit bietet

Bleibt er liegen und spannt sich an, zeigt er oft Unsicherheit. Raum einzunehmen ist hier ein Kommunikationsversuch, kein Machtanspruch.


Knurren ist Kommunikation, kein Angriff

Knurren wird ebenfalls häufig als Dominanz oder „Statusaggression“ interpretiert.Dabei ist Knurren ein wichtiges Warnsignal. Der Hund sagt: „Bitte geh auf Abstand.“ Häufig steckt dahinter Unsicherheit oder die Erfahrung, dass Ressourcen nicht sicher sind.

Wird Knurren korrigiert oder bestraft, verschwindet nicht das Problem – sondern nur die Vorwarnung.


Leinenaggression: Überforderung statt Kontrolle

Ein Hund, der an der Leine andere Hunde anbellt, gilt schnell als dominant. Tatsächlich sind die Ursachen meist:

  • fehlende Distanz

  • Reizüberflutung

  • Frustration

  • Stress

Die Leine verhindert Ausweichverhalten. Der Hund reagiert, weil er keine andere Strategie hat – nicht, weil er dominieren will.


„Hunde machen das untereinander auch so“

Oft heißt es: „Hunde regeln das unter sich auch über Dominanz.“ Ja, Hunde regeln Konflikte – aber nicht über feste Rangordnungen. In Hundegruppen wechseln Rollen ständig. Ein Hund sichert heute eine Ressource, morgen weicht er aus. Gute soziale Kompetenz zeigt sich darin, Konflikte zu vermeiden, nicht zu gewinnen.

Das, was oft als Dominanz bezeichnet wird, ist in Wahrheit feine Kommunikation.


Neue Begriffe, altes Denken

Die Dominanztheorie ist nicht verschwunden – sie hat neue Namen bekommen. Statt von Alpha und Rangordnung spricht man heute von:

  • Führung

  • klaren Grenzen

  • Respekt

  • Status

  • Statusaggression

  • Korrekturen

  • Raumverwaltung

Die Begriffe klingen moderner, die Grundannahme bleibt häufig gleich: Verhalten wird als Machtfrage interpretiert.


Warum sich das Konzept so hartnäckig hält

Ein entscheidender Grund liegt in der schnellen Wirkung für den Menschen. Dominanzbasierte Methoden arbeiten oft mit Blocken, körperlicher Begrenzung oder Korrekturen. Das Verhalten stoppt sofort. Der Hund wird ruhig. Für den Menschen fühlt sich das erfolgreich an.

Dieser Effekt verstärkt den Menschen positiv. Kontrolle entsteht schnell, Unsicherheit verschwindet. Dass dabei meist nur Verhalten unterdrückt wird und nicht die Ursache bearbeitet, ist im Moment schwer zu erkennen.

Verständnis- und bedürfnisorientiertes Training braucht mehr Zeit. Emotionen müssen reguliert, Alternativen aufgebaut, Sicherheit geschaffen werden. Fortschritte sind langsamer – dafür nachhaltig. Genau dieser Unterschied macht den dominanzbasierten Ansatz so verführerisch.


Eine andere Perspektive auf Hundeverhalten

Hunde zeigen Verhalten nicht, um Menschen herauszufordern. Sie reagieren auf ihre Umwelt, auf Erfahrungen und auf innere Zustände. Wenn wir Verhalten als Machtfrage missverstehen, reagieren wir mit Kontrolle – und verlieren den Blick für das Wesentliche.

Die wichtigeren Fragen sind:

  • Was fühlt der Hund gerade?

  • Was hat er gelernt?

  • Was braucht er, um sich sicher zu fühlen?



Die Dominanztheorie überlebt, weil sie schnelle Ruhe verspricht. Blocken und Korrekturen stoppen Verhalten sofort und belohnen den Menschen mit dem Gefühl von Wirksamkeit. Doch was schnell wirkt, löst selten Probleme. Nachhaltige Veränderung entsteht nicht durch Kontrolle, sondern durch Verstehen – auch wenn dieser Weg länger dauert.


 
 
 

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