Emotionale Sicherheit statt Gehorsam: Ein neuer Blick auf Hundeerziehung
- Andrea Jumpertz

- vor 3 Tagen
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Wenn Engagement zur Abhängigkeit wird – und warum das kein Trainingserfolg ist - zumindest nicht im Sinne des Hundes
Es gibt Hunde, die im Training aussehen wie wahre Superstars: voller Fokus, vibrierende Erwartung, ein Blick, der nicht eine Sekunde von uns weicht. Viele feiern dieses Verhalten als „Arbeitsfreude“. Doch oft steckt etwas ganz anderes dahinter – ein Hund, der ohne uns nicht denken kann, der nach dem nächsten Kommando „süchtig“ ist und nur funktioniert, solange wir ihn steuern. Das ist keine echte Verbindung, sondern Abhängigkeit. Und Abhängigkeit macht Hunde fragil, nicht stark.
Genau hier beginnt für mich der wichtigste Unterschied in meinem eigenen Ansatz. Meine Philosophie ist eigentlich ganz einfach – und sehr menschlich. Ich schätze das Wesen Hund, ich möchte verstehen, was in ihnen vorgeht, und ich bilde mich ständig weiter, weil ich ein echter Hundenerd bin und gar nicht anders kann. Bei mir dürfen Hunde Hund sein. Sie dürfen Bedürfnisse ausleben, sie dürfen sich sicher fühlen, und ihre Kommunikation wird nicht nur gehört – sie wird ernst genommen.
Für viele Menschen, die geprägt wurden von „Der Hund muss gehorchen“, mag das fast verrückt klingen. Ich verstehe das. Doch genau deshalb ist das nicht mein Weg. Meine Hunde folgen mir, weil ich ihnen Entscheidungen erlaube – nicht, weil sie keine andere Wahl haben.
Und genau so arbeite ich auch im Training:
Rückruf, Verständigungsmöglichkeiten, kleine Tricks oder Hundesport – all das basiert bei mir auf einer echten, beidseitigen Kommunikation. Darauf, dass der Hund versteht, was passiert, mitreden darf, sich sicher fühlt und gerne mit mir zusammenarbeitet. Dort, wo der Hund Wahlmöglichkeiten hat, entsteht freiwillige Kooperation, und diese ist stärker und nachhaltiger als jedes erzwungene Verhalten.
Wenn man Hunden keine Wahl lässt, mit falschen Belohnungen arbeitet oder ein Timing nutzt, das nicht zum Hund passt, kommt man vielleicht kurzfristig zu einem Ergebnis, aber nie zu einer echten Beziehung. Und genau diese Verbindung ist die Basis für jedes funktionierende Training.
Jegliche Form von Aversivität – ob sichtbar oder subtil – gilt es konsequent zu vermeiden. Das heißt nicht, dass Hunde niemals Grenzen erfahren oder nicht verstehen würden, was „Nein“ bedeutet. Hunde verstehen sehr wohl, wenn wir etwas nicht möchten. Doch das muss man nicht trainieren, nicht künstlich erzeugen und vor allem nicht durch Druck oder Unbehagen vermitteln. Hunde sind soziale Wesen – sie verstehen Klarheit, sie verstehen Körpersprache, sie verstehen unsere innere Haltung.
Wirklich gutes Training entsteht nicht durch Kontrolle, sondern durch Vertrauen. Nicht durch Unterordnung, sondern durch Beziehung. Nicht durch Druck, sondern durch Dialog. In der Hundewelt begegnen uns unzählige Methoden, Meinungen und Versprechen. Jeder hat eine Idee davon, wie ein Hund „sein sollte“ – ruhig, brav, verlässlich, kontrolliert.
Doch ein Thema zieht sich leise, aber kraftvoll durch all diese Ansätze hindurch: Wie wir mit den Emotionen unserer Hunde umgehen. Und wie stark genau das ihre gesamte Welt beeinflusst.
Über viele Jahre hinweg habe ich beobachtet, wie viel Druck Hunde aushalten müssen, um sich an unsere Vorstellungen anzupassen. Wir erwarten von ihnen, in angstauslösenden Situationen ruhig zu bleiben.
Wir wünschen uns Gelassenheit, auch wenn sie überfordert sind. Wir verlangen, dass sie unangenehme Dinge still ertragen und sich jederzeit vorhersehbar verhalten. Doch je tiefer ich mit Hunden arbeite, desto klarer wird: Diese Erwartungen sind nicht nur unrealistisch, sie sind zutiefst unnatürlich – und unfair.
Hunde fühlen. Hunde reagieren. Hunde kommunizieren – oft sehr leise, aber immer ehrlich.
Sie versuchen sich in einer Welt zurechtzufinden, die nicht für sie gemacht wurde: eine Welt voller Reize, Geschwindigkeit und sozialer Erwartungen, die nicht ihren eigenen entsprechen. Und oft sind es ihre Augen, die uns zeigen, wie es wirklich in ihnen aussieht.
Ein Blick, der alles sagt
In meiner täglichen Arbeit begegnen mir immer wieder Hunde, die über ihre Augen um Hilfe bitten. Es ist dieser ruhige, oft flüchtige Moment, in dem ein Hund hochschaut und hofft, gesehen zu werden. Viele Menschen übersehen diesen Blick. Doch für den Hund bedeutet er sehr viel.
Wenn ich dann den Hund anschaue, ruhig und lächelnd, sehe ich, wie der Hund spürt: „Das sieht mich jemand.“ Und dieser eine Moment kann so bedeutungsvoll sein, dass manche Hunde meine Nähe kaum mehr verlassen möchten. Nicht, weil sie abhängig sind, sondern weil sie sich – wahrgenommen fühlen.
Dieser Blick sagt nichts darüber aus, ob ein Hund gut trainiert ist. Er sagt etwas darüber aus, wie er Stress bewältigt, wie sicher er sich fühlt, wie stark er die Bindung zu uns erlebt und welche Entscheidungen er gerade innerlich abzuwägen versucht.
Wie wir unseren Hunden wirklich helfen können
Der Umgang mit diesen Blicken beginnt nicht beim Hund, sondern bei uns selbst. Hunde spiegeln unseren emotionalen Zustand oft erstaunlich präzise. Bleiben wir ruhig, können auch sie ruhiger werden. Suchen sie Orientierung, hilft es, präsent und ansprechbar zu sein. Schauen sie weg und regulieren sich selbst, sollten wir ihnen diesen Raum lassen. Und wenn sie hektisch zwischen Menschen hin- und herschauen, dann brauchen sie weniger Druck – nicht mehr davon.
Jeder dieser Blicke ist im Grunde dieselbe Frage: „Bist du da? Bin ich sicher?“
Unsere Aufgabe besteht darin, nicht mit Kontrolle zu antworten, sondern mit Ruhe, Klarheit und Sanftheit.
Wenn unser Trost Angst verstärkt – ohne dass wir es merken
Wenn der Blick des Hundes Unsicherheit oder sogar Angst zeigt, sollten wir passend reagieren. Viele Menschen möchten in schwierigen Situationen trösten – und das ist gut und liebevoll gemeint. Doch oft passiert etwas Unbewusstes: Wir ahmen Angstkommunikation unter Hunden nach, ohne es zu wollen.
Hohe Stimmen klingen für Hunde wie fiependes Unbehagen. Ein erschrockenes Einatmen erinnert an ein warnendes, stimmloses „Wuff“. Hektisches Atmen wirkt wie Stresshecheln, und schrille Laute haben dieselbe Qualität wie Panikbellen.
Das Problem ist also nicht das Trösten an sich, sondern wie wir es tun. Hunde brauchen nicht unser Miterschrecken – sie brauchen unser ruhiges Nervensystem. Eine ruhige Stimme hilft ihnen. Und vor allem hilft ihnen ein Mensch, der Sicherheit verkörpert, statt Unsicherheit zu spiegeln.
Ein Spaziergang miteinander und mit der richtigen Ausrüstung
Ein gut sitzendes Geschirr ermöglicht natürliche Bewegung, freie Atmung und Sicherheit. Eine lange Leine schafft Raum, sich zu entfalten, zu riechen, zu denken und der eigenen Körpersprache Ausdruck zu verleihen. Eine ständig gespannte kurze Leine dagegen überträgt nur Unruhe und das ständige Gefühl, begrenzt und kontrolliert zu werden.
Hunde brauchen Raum, um Hund zu sein. Sie brauchen Freiheit, um die Welt zu erkunden. Und sie brauchen einen Menschen, der diese Freiheit zulässt, statt sie einzuschränken. Denn wirkliche Verbindung entsteht nicht durch Druck oder ständiges Management – sie entsteht durch Vertrauen.
Veränderung braucht Zeit – der Samen muss gepflegt werden
In der Zusammenarbeit mit Menschen gibt es eine Wahrheit, die selten ausgesprochen wird: Ich kann den Samen pflanzen. Ich kann erklären, wie man ihn gießt. Ich kann helfen, herauszufinden, warum etwas nicht wächst. Aber ohne tägliche Pflege, ohne aktive Beteiligung, ohne Bereitschaft, Dinge anzupassen, wird dieser Samen nicht gedeihen.
Manchmal pflanzen Menschen eine Narzisse und erwarten eine Tulpe. Manchmal wünschen sie nach wenigen Tagen die erste Blüte. Ich verstehe dieses Bedürfnis – aber echte Veränderung folgt natürlichen Gesetzen. Sie braucht Zeit, Geduld, die richtigen Bedingungen und vor allem die Bereitschaft, selbst mitzuwirken.
Worum es in meiner Arbeit eigentlich geht
Meine Arbeit dreht sich nicht um perfekte Ausführung. Nicht um Gehorsam. Nicht um die nächste beeindruckende Übung.
Es geht um emotionale Sicherheit. Es geht um Kommunikation. Es geht um Verständnis, Wahlfreiheit und echte Verbindung.
Hunde brauchen keine makellosen Trainer/innen. Sie brauchen Menschen, die sie sehen, ihnen Raum lassen, sie schützen und ihnen helfen, die Welt zu verstehen.
Genau das ist der Kern meiner Arbeit: Nicht Kontrolle, sondern Beziehung. Nicht Druck, sondern Sicherheit. Nicht „funktionieren“, sondern sich entfalten.
Wenn wir Hunden erlauben, wirklich sie selbst zu sein, dann blühen sie auf – und wir mit ihnen.
Andrea Jumpertz



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