top of page

Wenn Hunde still werden


Warum „Verantwortung abgeben“ und die sogenannte „Entspannungsübung“ keine Entspannung erzeugen – sondern Kontrollverlust


In vielen Trainingsansätzen hört man, der Hund müsse lernen, Kontrolle abzugeben und dem Menschen die Verantwortung zu überlassen.


Der Mythos vom Verantwortung-Abgeben


Die Idee, ein Hund müsse „Verantwortung abgeben“, basiert auf einer menschlichen Fehlinterpretation seines Verhaltens. Hunde übernehmen keine moralische oder soziale Verantwortung im menschlichen Sinn. Wenn sie in bestimmten Situationen nach vorne gehen, bellen oder „kontrollierend“ wirken, sind das emotionale Reaktionen – häufig ausgelöst durch Unsicherheit, Überforderung oder fehlende Orientierung.


Wird der Hund in solchen Momenten eingeschränkt, blockiert oder „korrigiert“, verliert er nicht Verantwortung, sondern Selbstwirksamkeit – die Fähigkeit, durch eigenes Verhalten Einfluss auf seine Umwelt zu nehmen (Bandura, 1977).


Wenn diese Erfahrung wiederholt auftritt, kann der Hund lernen, dass sein Verhalten keine Wirkung hat. Die Folge ist erlernte Hilflosigkeit (Seligman, 1972): Der Hund verhält sich passiv und wirkt ruhig, hat aber innerlich resigniert. Er zeigt keine emotionale Regulation, sondern Verhaltenshemmung.


Beispiel: die sogenannte „Entspannungsübung“ – Zwang unter neuem Namen


Ein Beispiel für dieses Missverständnis ist die sogenannte „Entspannungsübung“, bei der der Hund vom Mensch in Seitenlage gebracht und dort gehalten wird. Diese Technik wird oft als „Vertrauensübung“ oder „Loslassübung“ beschrieben und soll den Hund lehren, sich zu fügen und Verantwortung „abzugeben“.


In Wahrheit handelt es sich um eine erzwungene Immobilisierung, die keine Entspannung, sondern Stressreaktionen auslöst. Die Methode ist lediglich eine verschönte Variante der alpha roll, die in den 1960er-Jahren aus Beobachtungen an gefangenen Wölfen abgeleitet wurde (Schenkel, 1967). Man glaubte, ranghöhere Tiere würden Artgenossen aktiv auf den Rücken zwingen. Neuere Feldstudien an frei lebenden Wölfen widerlegten dies: Unterwerfungsverhalten wird freiwillig gezeigt und dient der Konfliktvermeidung, nicht der Machtausübung (Mech, 1999).


Wird der Hund durch den Menschen seitlich am Boden fixiert, reagiert sein Körper mit Stresssymptomen – erhöhter Herzfrequenz, Muskelspannung und gesteigertem Cortisol (Beerda et al., 1997). Kann er sich nicht entziehen, tritt häufig eine tonische Immobilität ein: eine durch Angst oder Überforderung ausgelöste Erstarrungsreaktion (Gallup, 1977).Das Tier wirkt ruhig, befindet sich aber in einem Zustand maximaler Anspannung.


Diese so genannte Entspannungsübung ist exemplarisch für jede Form der Fixierung oder erzwungenen Kontrolle – sei sie körperlich (Festhalten, Blockieren) oder psychisch (körpersprachlicher Druck, Drohhaltung, massives „Führen“). In allen Fällen wird die Ausdrucksfähigkeit des Hundes eingeschränkt, wodurch er nicht lernen kann, Emotionen zu regulieren, sondern sie zu unterdrücken.


Langfristig kann dies zu Unsicherheit und in manchen Fällen zu erlernter Hilflosigkeit führen (Vieira de Castro et al., 2020). Was äußerlich nach „Ruhe“ aussieht, ist häufig nur das Ende der Kommunikation. Der Hund wird still.


Vertrauen und Sicherheit statt Zwang


Echte Entspannung entsteht, wenn der Hund Sicherheit erlebt, nicht wenn er in Passivität gezwungen wird. Vertrauen entsteht durch Vorhersagbarkeit, Fairness und Verlässlichkeit – wenn der Hund erlebt, dass sein Mensch ruhig verständnisvoll und der Situation angepasst reagiert.


Nur in einem solchen Kontext kann das Nervensystem in den parasympathischen Zustand übergehen – den Zustand, in dem echte Ruhe, Lernen und soziale Bindung möglich sind (Sapolsky, 2004).


Noch einmal: Wenn Hunde still werden, ist das nicht automatisch ein Zeichen von Entspannung oder Vertrauen. Häufig ist es ein Ausdruck von Kontrollverlust, Angst oder Aufgabe.


Was wir äußerlich als „ruhig“ wahrnehmen, ist oft innere Starre.


Ein Hund, der sich sicher fühlt, hat nicht "die Kontrolle abgegeben“ – er vertraut. Und dieses Vertrauen ist die Grundlage für freiwillige Kooperation, emotionale Stabilität und echte Gelassenheit.
Ein Hund, der sich sicher fühlt, hat nicht "die Kontrolle abgegeben“ – er vertraut. Und dieses Vertrauen ist die Grundlage für freiwillige Kooperation, emotionale Stabilität und echte Gelassenheit.




Literaturverzeichnis

  • Bandura, A. (1977). Self-efficacy: Toward a unifying theory of behavioral change. Psychological Review, 84(2), 191–215.

  • Beerda, B., Schilder, M. B. H., van Hooff, J. A. R. A. M., de Vries, H. W., & Mol, J. A. (1997). Manifestations of chronic and acute stress in dogs. Applied Animal Behaviour Science, 52(3–4), 307–319.

  • Gallup, G. G. (1977). Tonic immobility: The role of fear and predation. Psychological Record, 27, 41–61.

  • Mech, L. D. (1999). Alpha status, dominance, and division of labor in wolf packs. Canadian Journal of Zoology, 77(8), 1196–1203.

  • Schenkel, R. (1967). Submission: Its features and function in the wolf and dog. American Zoologist, 7(2), 319–329.

  • Seligman, M. E. P. (1972). Learned helplessness. Annual Review of Medicine, 23(1), 407–412.

  • Sapolsky, R. M. (2004). Why Zebras Don’t Get Ulcers. Henry Holt & Company.

  • Vieira de Castro, A. C., et al. (2020). Does training method matter? Evidence for the negative impact of aversive-based methods on companion dog welfare. PLoS ONE, 15(12): e0225023.

 
 
 

Kommentare


Hundeschule und Mehr

Gelände:
Aachener Str. 1413
50859 Köln-Weiden

Büro:
Neusser Str. 9
50189 Elsdorf

Tel.: 02274/8299516
Mobil: 0177/6003357
Kontaktanfrage per mail

 

  • Youtube
  • TikTok
  • Facebook
  • Instagram
Mitglied IAABC
Vdtt Mitglied
Tierpsychologe ATN
bottom of page