Zwischen Angst und Führung – Was Hunde uns über Dominanz, Vertrauen und Verbundenheit lehren
- Andrea Jumpertz
- 28. Mai
- 3 Min. Lesezeit

Ich habe viel Zeit verbracht Hunde in der Interaktion im Freilauf zu beobachten. Besonders spannend finde ich dabei die Gruppen, die sich aus regelmäßigen Teilnehmern bilden – Hunde, die sich kennen und nach und nach ein rudelähnliches Miteinander aufbauen. In diesem kleinen sozialen Mikrokosmos zeigt sich oft mehr über Dominanz, Vertrauen und soziale Dynamik, als man auf den ersten Blick vermuten würde.
Dominanz – ganz anders als gedacht
Eine der häufigsten Fehlannahmen in Bezug auf Hunde ist, dass dominante Tiere autoritär, kontrollierend oder gar aggressiv sind. Doch die Wissenschaft zeichnet ein anderes Bild. Studien wie die von Roberto Bonanni (2010) zeigen klar: Hunde folgen nicht denen, die Macht demonstrieren, sondern jenen, die gute Ideen haben – und sich dabei nicht aufdrängen. Es sind oft die ruhigen, älteren Hunde, die einfach wissen, wann man wo langläuft oder wann es Zeit ist, aus einer Situation auszusteigen. Sie werden als Führungspersönlichkeiten erkannt – ganz ohne Zwang.
Meine Hündin Ennah ist so ein Beispiel. Sie ist 8 Jahre alt, meist nicht wettbewerbsorientiert, gibt Spielzeug oder Ressourcen ab, zieht sich lieber zurück, als Konflikte auszutragen. Und trotzdem – oder gerade deshalb – folgen ihr die jüngeren Hunde. Sie hat Erfahrung. Und sie hat meistens Recht. Führung durch Vertrauen, nicht durch Dominanz.
Die Rolle der Menschen
Interessanterweise zeigen dominante Hunde auf Hundewiesen ein Verhalten, das nicht immer dem klassischen Bild entspricht. Anders als man erwarten würde, sind sie oft mitten im Geschehen, weit entfernt von ihren Besitzern. Sie halten sich nicht am Rand auf, wie man es bei älteren, abgeklärten Hunden manchmal sieht, sondern nehmen aktiv am Gruppengeschehen teil.
Ich höre dann manchmal Aussagen wie: „Das ist ihre Zeit, einfach Hund zu sein.“ Viele dieser Hunde bekommen zu Hause wenig Interaktion oder Beschäftigung – das hat mir mehr als ein Mensch im Gespräch gesagt. Und ja, vielleicht ist es manchmal so, dass der Hund auf der Wiese „verlorene Zeit“ aufholt. Aber das ist nicht überall der Fall.
Zwischen Angst und Selbstbewusstsein
Was mich besonders fasziniert, ist die enge Verbindung zwischen Angst und Mut – bei Hunden wie bei Menschen. Viele denken: Wer mutig ist, hat keine Angst. Aber das Gegenteil ist oft wahr. Mut braucht Angst. Ich habe Menschen verteidigt, obwohl ich innerlich gezittert habe. Und ich habe Hunde gesehen, die nach vorn preschten – nicht, weil sie sich überlegen fühlten, sondern weil sie beschützen wollten. Weil sie mussten.
Hier spielt Oxytocin eine große Rolle – das sogenannte Bindungshormon. Es wird ausgeschüttet, wenn wir Nähe erleben, wenn wir jemandem helfen, wenn wir gemeinsam handeln. Es stärkt das Gefühl von Verbundenheit – kann aber auch dazu führen, dass wir uns gegenüber „Fremden“ abgrenzen. Und: Es kann Angst in Handlungsenergie verwandeln.
Je näher man sich an Sicherheit bringt – ob körperlich oder emotional – desto mehr kann sich auch ein Gefühl von Selbstvertrauen einstellen. Und wenn wir dabei nicht allein sind, sondern mit einem Freund, einem Hund oder einem vertrauten Menschen, dann wird aus Angst oft Bewegung. Aus Bewegung wird Erfahrung. Und diese Erfahrung speichert unser Gehirn – manchmal unbewusst, manchmal als winziger Moment von „Ich hab’s geschafft“.
Was ist ein „Mobber“?
Auch das Phänomen des Mobbings – bei Hunden wie bei Menschen – hat oft mit Angst zu tun. Ich habe noch keinen Mobber kennengelernt, der nicht auf irgendeiner Ebene zutiefst verunsichert war. Das Verhalten dient oft nur einem Zweck: gesehen und gehört zu werden. In einem Umfeld, das sicher genug scheint, um sich überhaupt auszudrücken – wenn auch auf destruktive Weise.
Was dabei oft übersehen wird: Auch Verteidigung ist ein Ausdruck von Angst – aber einer, der schützen kann. Der helfen kann. Und genau deshalb kann in einer Handlung sowohl Unsicherheit als auch Stärke stecken.
Fazit: Es ist nicht schwarz oder weiß
Verhalten – ob bei Hunden oder Menschen – entsteht selten aus nur einem Gefühl. Angst und Selbstvertrauen, Rückzug und Mut, Nähe und Abgrenzung – sie existieren auf einem Spektrum und sind oft gleichzeitig aktiv. Was wir daraus lernen können? Vielleicht, dass es in Ordnung ist, widersprüchlich zu sein. Dass wir Dominanz nicht mit Härte verwechseln sollten.
Und dass ein wenig mehr Beobachtung, Zuhören und Mitgefühl uns allen gut tut – ob auf der Hundewiese oder im Leben.
Wer mehr hierzu lernen will, kann gerne zur neuen Sozialkontaktstunde kommen.
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