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AutorenbildAndrea Jumpertz

Wohlerzogen heißt nicht wohlfühlen

Wie oft muss ich hören, dass über einen Hund gesagt wird. Der ist aber wohlerzogen. Ja das macht einen stolz. Aber wie geht es dem Hund dabei?

Oft steckt hinter dem wohlerzogenen Hund kein Hund, der sich wohlfühlt. Denn ein nach menschlichem Maß verhaltender Hund zeigt kein Hundeverhalten. Das kann nicht gesund sein. Aber auch hier muss man Menschen verstehen. Woher wollen Menschen wissen, wie sich ein Hund fühlt, wenn sie noch nicht einmal wissen, wie sich gerade ihr Kollege fühlt, der neben ihnen arbeitet. Ich kann mit einer Kollegin auf dem Platz zusammen arbeiten und wir haben eine schöne Trainingsstunde gemeinsam. Aber wie genau sich meine Kollegin in dieser Stunde fühlt, das weiß ich nicht.

Wir Menschen untereinander teilen uns dann gegenseitig über Worte mit, wie wir uns fühlen. Hunde machen dies über Körpersprache. Gemeinsam haben Hund und Mensch ihr Verhalten über das sie ihre Emotionen preisgeben. Ein laut schreiender Mensch ist wütend und frustriert, enttäuscht und unglücklich. Ein laut bellender Hund hat die gleiche Emotion. Es ist wichtig dies so zu sehen. Kein laut bellender Hund ist unerzogen oder stur. Er zeigt schlicht und einfach eine Emotion. Diese gilt es für den verständnisvollen Hundehalter zu sehen. Tatsächlich zeigt jedes unerwünschte Verhalten unserer Hunde ein inneres Bedürfnis, welches sich durch Emotion und somit im Verhalten bemerkbar macht.

Wenn ein Mensch Hunger hat und zum Kühlschrank geht, um sein Bedürfnis zu stillen, ist er dann unerzogen? Ja tatsächlich kommen vielleicht dem ein oder anderen der Gedanke. Jetzt darfst du nicht einfach etwas essen, weil in einer Stunde wird ja gekocht. Dann gilt es mit dem eigenen Verstand abzuwägen, ob dieser Gang zum Kühlschrank noch Sinn macht. Manchmal ja manchmal nein. Aber das sind menschliche Regeln. Hunde brauchen diese nicht.





Man muss sich überlegen, dass 70% der Hunde auf der Welt im Freien leben und sich Menschen mal anschließen oder nicht. Sie sind zufrieden und leben dort gut und eigenständig. Wobei es hier nicht um Hunde geht, die von Menschen ausgesetzt wurden und in hundeunfreundlicher Umgebung leben.

Wenn diese zufrieden in Freiheit lebenden Hunden mit Hundetraining begegnet wird, dann drehen sie sich um und gehen. Wenn man ihnen einen Ball wirft gucken sie dich an und man hört sie denken, wenn du den Ball haben willst, warum wirfst du ihn dann weg. Sie bringen ihn dir nicht.

Unsere Hunde in Menschenhand dagegen drehen teilweise durch, wenn sie Bälle sehen. Stolze Mensch berichten, dass ihr Hund Ballspiel liebt. Wie kommt es dazu? Nun oft ist die einzige Interaktion mit dem Hund das Ballspiel und die anderen Bedürfnisse des Hundes können oder wollen nicht gesehen werden. Ein Lebewesen, welches nicht gesehen wird in seinen Bedürfnissen, greift zu Drogen. Bälle können bei Erregung sehr belohnend sein für Hunde.

Meine Hunde greifen zu Bällen oder Spielzeug, wenn sie positiv oder negativ erregt sind. Das hilft ihnen. Wenn es ihnen aber gut geht und sie entspannt sind, denken sie wie Straßenhunde und dann lassen sie meinen geworfenen Ball links liegen. Es ist ein großer Trugschluss, dass Hunde Ballspiele lieben. Nein, sie brauchen es in bestimmten Situationen und es zeigt, dass euer Hund gerade angespannt ist und eine Lösung sucht.

Ennah und Janne dürfen oft im Garten oder drinnen Leckerchen in und um Hindernisse (alles was man so hinlegen kann) suchen. Dies tun sie dann ganz eigenständig und ich kann sehen wie ihre Muskeln sich entspannen. Wenn ich dann einen Ball dazu lege, wird dieser links liegen gelassen. Wenn aber dann der Nachbarshund bellt und sie regen sich auf, wird der Ball gerne ins Maul genommen. Wenn sie zurückkommen, fällt der Ball wieder aus dem Maul und es wird weiter gesucht. Diese Art der Beschäftigung führt dann wieder zu Beruhigung. Wir führen dies auch oft in unseren Trainings durch.



Denn es bedeutet noch so viel mehr. Der Mensch kann seinen Hund bei der Suche beobachten. Er sieht wie sich der Hund entspannt. Der Hund sucht eigenständig, trifft eigene Entscheidungen und lebt ein kleines bisschen Freiheit ähnlich seinen Gefährten, die in Freiheit leben. Das tut gut und hilft dem Hundehalter seinen Hund zu verstehen auf eine ganz andere Art.

Wir müssen aufhören Hunde durch unsere menschlich Brille zu betrachten. Vor allen Dingen müssen wir uns frei sprechen von eigenen Glaubenssätzen. Wir sind verantwortlich für unsere Hunde die Emotionen wie wir haben. Tiere waren vor uns Menschen da mit ihren Emotionen. Sie kommen ganz gut ohne uns klar.

Kein Lebewesen möchte so kontrolliert und beeinflusst werden, wie wir das teilweise mit unseren Hunden machen. Dann kommt noch hinzu, dass jeder Mensch eine andere Lebensgeschichte hat. Diese versucht man dann zusätzlich den Hunden überzustülpen. Der Hund ist nicht unerzogen. Was hat man dir denn als Menschenkind beigebracht, was unerzogen ist. Was empfindest du als unerzogen? Wo sind deine Baustellen? Durftest du keine eigenen Entscheidungen treffen? All dies wird auf den Hund übertragen. Das ist unfair.

Wir müssen aufhören diese menschlichen Themen auf Hunde zu projizieren.

Es wird dringend Zeit Hunde als Hunde zu sehen. Hunde sind eigentlich Wesen, die den ganzen Tag lieber faul rumliegen, dann ein wenig auf die Suche gehen, essen und sich wieder hinlegen. Das tun sie aber am liebsten in der Natur.

Schaut euch die frei lebenden Hunde an, wie sie leben und agieren. Das sind die nächsten Verwandten eurer Mitbewohner. Wenn sie zu Menschen in die Häuser kommen, tun sie es, weil es zum Beispiel regnet. Kein Mensch käme auf die Idee, diesen Hund im Haus zu behalten, wenn er gehen will.

Es geht im Miteinander mit Hunden darum, dass die Emotionen und damit die Bedürfnisse des Hundes gesehen werden. Hier ist eine Bedürfnispyramide zur Ansicht. Training hat hier erst ganz oben Platz. Erst muss die Basis stimmen:




Ein Hund darf auch mal nein sagen. Das durften viele Kinder früher auch nicht. Man darf einmal etwas behalten wollen. Jeder Spruch in der Trainerbranche kann auf menschliche Glaubenssätze und Erfahrungen zurückgeführt werden und ist daher für das menschliche Miteinander und erst recht für das Mensch Hund Miteinander mit Empathie zu hinterfragen.

Ein Beispiel ist das Menschen immer glauben, dass Hunde sich von ihren Menschen immer alles abnehmen lassen müssen. Wobei wir selber unser Hab und Gut durch abgeschlossene Türen beschützen. Wenn wir Hunden immer wieder alles abnehmen, dann fangen sie logischerweise an Dinge zu verteidigen. Dieses wie viele Probleme sind menschengemacht.


Wenn wir andererseits unseren Hund als Hund anerkennen und seine Bedürfnisse sehen, ernten wir Vertrauen seitens des Hundes. Wenn wir dieses Basis mit unserem Hund haben, dann vertraut er uns, wenn wir ihm mal etwas abnehmen müssen. Denn das passiert.

Aber dieses Vertrauen in uns bekommt der Hund nur, wenn wir seine Bedürfnisse kennen und entsprechend verständlich handeln. Das erreichen wir weder durch Gehorsamstraining noch durch aversive Maßnahmen.

So wie wir mit unseren Kindern umgehen, so versuchen wir unsere Hunde zu 'erziehen'. Kinder und Hunde wachsen zu großartigen Partnern und Freunden im Leben heran, wenn sie in ihren Bedürfnissen gesehen werden, wenn man ihre Schwächen akzeptiert und wenn man sie als eigenes Wesen betrachtet nicht als Projektion des eigenen Selbst.

Manchmal muss man auch erst selber heilen, um mit Hunden eine wunderbare Beziehung einzugehen. Diesen Zeitpunkt kann man nicht erzwingen. Aber sehr viele Hunde zeigen uns in ihrem Verhalten, dass es Zeit ist, wieder auf das eigene Bauchgefühl zu achten und menschliche Glaubenssätze über Bord zu werfen.

Gut erzogen bedeutet eben nicht wohlfühlen. Im Gegenteil und Hunde, die sich gesehen und wohl fühlen sind viel schneller und leichter zu trainieren und glücklich wohl erzogen ;-).


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